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MIGRATION Der Doppelpass des Nigerianers

In Belgien leben über 500 illegale afrikanische Fußballer. Sie wurden von skrupellosen Agenten nach Europa gelockt und im Stich gelassen. Viele wohnen in Antwerpens Rotlichtbezirk, trainieren im Stadtpark und spielen in einer Schattenliga.
Von Claus Christian Malzahn
aus DER SPIEGEL 33/2000

Das Feld der Träume ist eine Liegewiese, zumindest bis kurz vor drei Uhr nachmittags. Dann verwandelt sich der Antwerpener Rivierenhof in ein afrikanisches Fußballstadion.

Zwei Sporttaschen markieren ein Tor, der Rentner von der Parkbank wird als Balljunge eingeteilt. Die VIP-Tribüne liegt auf einem Hügel unter einer Rotbuche, zum Duschen genügt ein Gartenschlauch.

Im Rivierenhof spielen die kleinen Brüder der großen Stars. Sie heißen Babayaro oder Ikpeba, und ihr Traum ist kein Pokal, sondern eine Aufenthaltsgenehmigung. Die Schwarzen, die hier um die Bälle kämpfen, kicken für ein besseres Leben.

»Lauf dich gefälligst warm, sonst darfst du nicht auf meinen Platz!«, herrscht der Trainer Charles Anjakudo einen Spieler an und wirkt dabei so selbstbewusst wie Ottmar Hitzfeld. Nicht nur sein Alter - Anjakudo ist schon Anfang 30 - und seine mürrische Miene unterscheiden ihn von seinen Landsleuten. Er ist einer der wenigen Schwarzen auf dem Rasen, dessen Papiere in Ordnung sind und der als Arbeiter in einer Fabrik einen festen Job hat.

Seine Mannschaft ist in keinem Verein gemeldet, für den belgischen Staat existieren die meisten Spieler nicht. Anjakudo trainiert den FC Illegal, seine Fußballer wohnen fast alle ohne Aufenthaltsgenehmigung in Belgien. Sie leben im Schatten der Städte, in Bruchbuden oder Pensionen. Ans Licht kommen sie nur, wenn Anjakudo ein Spiel pfeift.

Heute steht Techniktraining auf dem Programm. »Afrikaner spielen vor allem mit Kraft«, erklärt der Trainer, »in Europa reicht das nicht.« Deshalb hat er die Sporttaschen eng zusammengestellt, die Tore sind ganze drei Meter breit. Nur mit Power geht da kein Ball durch.

Für Musa ist das Spiel im Rivierenhof der Höhepunkt der Woche. Er spielt als Verteidiger. Musa, der seinen Nachnamen auf dem Weg von Lagos nach Antwerpen offenbar verschluckt hat, wurde von einem belgischen Fußball-Scout vor einem Jahr von Nigeria nach Österreich geschleust.

Die Branche der Fußball-Scouts ist unbeliebt - aber für den Profisport wegen der ständigen Nachfrage nach jungen, neuen Spielern inzwischen unerlässlich. Neben seriösen Vermittlern tummeln sich auf dem Markt seit ein paar Jahren allerdings immer mehr Kriminelle - verkrachte Existenzen, die als Fußballer, Clubmanager oder Sportjournalisten gescheitert sind.

Sie holen die Spieler mit einem Touristenvisum ins Land, haben weit mehr Fußballer unter Vertrag, als sie tatsächlich in Vereinen unterbringen können. Manche Spielervermittler, weiß die belgische Europaabgeordnete Patsy Sörensen, sind außerdem im Prostituiertenhandel verstrickt. Das macht Sinn, die Schmuggelrouten sind die gleichen.

Je nach Land und Agent verdienen vom Fußball-Weltverband Fifa lizenzierte Scouts rund sieben bis zwölf Prozent vom Jahresgehalt des Angeworbenen. Doch es gibt immer mehr Fälle, in denen die Vermittler sich von ihren ahnungslosen afrikanischen Klienten eine Abgabe von bis zu 80 Prozent ihrer Einnahmen vertraglich zusichern lassen.

Auch Musa unterschrieb einen solchen Knebelvertrag, bevor ihn der Vermittler mit Versprechungen für eine glänzende Karriere nach Europa lockte. Doch der österreichische Verein, der den nigerianischen Jugendlichen verpflichten wollte, machte nach einem Testspiel einen Rückzieher. Der Scout ließ seinen Schützling daraufhin in einem Salzburger Hotel auf seinen Koffern und der Rechnung sitzen, gehört hat Musa nie wieder von ihm.

Zum Glück hatte der Nigerianer ein paar Nummern aus Belgien dabei. Drei Tage hat er auf dem Bahnhof gewartet, bis ihn Freunde aus Antwerpen endlich abholen konnten. Jetzt lebt er dort im afrikanischen Viertel, bei einem Cousin.

Weil Musa keine Aufenthaltsgenehmigung hat, bekommt er keine Arbeit. Seit einem Jahr ziehen ihn die Kumpel mit durch, wenn Musa darüber redet, schämt er sich.

Meistens geht er ins »Wazobia«, ein nigerianisches Café in Bahnhofsnähe. Jeder nigerianische Fußballer in Westeuropa kennt diese Kneipe, sie ist so eine Art Wartehalle für illegale Talente. Am Samstagabend ist der kleine Laden knallvoll.

Kingsley Ogbodo gehört zu den Gästen, die ein Verein bereits unter Vertrag genommen hat. Der 27-jährige Mittelfeldspieler verdingt sich bei einem Drittligisten. Doch auch mit offiziellen Papieren kann man als schwarzer Fußballer in Europa ziemlich in die Bredouille geraten.

Vor zwei Jahren brach er sich beim Training ein Bein, die Krankenhausrechnung stottert er noch heute mit 4000 Francs pro Monat ab. Sein Verein hatte ihn zwar spielen lassen, aber nicht krankenversichert - was offenbar längst die Regel ist.

Der europäische Profifußball kann zwar ohne afrikanische Fußballer nicht mehr auskommen, Spieler wie Ogbodo bilden inzwischen das Rückgrat der unteren Ligen. Vom Einsatz der afrikanischen Spieler erhoffen sich die kleinen Clubs den Aufstieg in eine höhere Liga. Doch jeder ist ersetzbar, denn die Konkurrenz unter den Spielern ist groß. Einen Konflikt mit dem Arbeitgeber riskiert kaum jemand, zumal jetzt auch noch frische Spieler aus Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Moldawien nach Westen drängen - und die sind manchmal noch billiger als Nigerianer.

Kingsley Ogbodo will noch fünf, sechs Jahre spielen. Reich wird er nicht werden, aber vielleicht kann er genug anlegen, um eine Auto-Exportfirma zu gründen, die Limousinen von Antwerpen nach Lagos verschifft. »Das wäre toll«, sagt er und guckt ängstlich auf seine Beine.

Der erste Bruch ist nicht richtig verheilt. Der nächste kann das Ende bedeuten. Ogbodo riskiert für ein paar tausend Mark monatlich ein Leben auf Krücken. »Immerhin habe ich einen Stammplatz im Team«, sagt er stolz.

Wer keinen Vertrag bei einem Verein hat, verdient sein Geld woanders. »Ich habe ein paar sehr schöne Lederjacken im Auto«, flüstert ein Nigerianer nach dem Spiel im Rivierenhof einem Spaziergänger zu. Andere arbeitslose Fußballer verdingen sich im Rotlichtmilieu.

Bruno Meuns, Chef des Antwerpener Hilfsprojekts »Payoke«, vergleicht das schmutzige Geschäft der Fußball-Scouts mit »Prostitution oder Sklavenhandel«. Seine Organisation, die den Opfern hilft, residiert mitten im Rotlichtviertel, zwischen Pornokinos und Schaufensterhuren, Sexshops und Bordellbars.

Nur wenige Illegale finden aus der Schattenwelt wieder heraus. Etwa 500 Spieler ohne Aufenthaltsberechtigung leben allein in Belgien, schätzt Meuns, in Europa sind es ein paar tausend. Illegale Fußballer spielen in den Parks von Rom, Hamburg, Lissabon, Wien und Brüssel.

Einige Fußballer gehen inzwischen mit Hilfe von »Payoke«-Anwälten gegen unseriöse Fußball-Scouts vor. Um ihren Schützlingen zu helfen, haben die Mitarbeiter der Hilfsorganisation eine Notunterkunft für Illegale gegründet.

Auch Layo Babayaro übernachtet dort, tagsüber streunt er durch die Stadt, denn die Wohnung ist klein. An Layos Problemen kann auch sein berühmter Bruder Celestine nichts ändern, der als Verteidiger bei Chelsea London spielt. Immerhin hat der ihm ein blaues Profihemd geschickt, auf dem der Familienname steht.

Das Hemd trägt Layo bei jedem Match. Trainer Anjakudo hat eine Supertruppe zusammengestellt, neben Layo spielt auch der kleine Bruder von Victor Ikpeba (Borussia Dortmund) mit. Die Nigerianer wollen gegen die Ghanaer antreten, außerdem machen noch die Brasilianer und die Jungs von Kap Verde mit. Papiere? »Wenn du auf dem Rasen bist, will keiner deinen Pass sehen«, sagt Anjakudo.

Das Sommerturnier der Illegalen ist inzwischen so etwas wie der Schnäppchenmarkt der belgischen Liga geworden. Sinanu Molasi, ein Ghanaer, war vor einem Jahr noch ein armer Schlucker. Jetzt fährt der Fußballer in einer blauen Limousine vor, wenn er seine Kumpel im »Wazobia« besucht, weil er vor einem Jahr vom Rasen weg für einen Erstligaclub verpflichtet wurde.

Musa, Layo und die anderen Spieler trügen auch gern ein halbes Dutzend Goldkettchen um den Hals wie Sinanu. Vor kurzem war wieder dieser kleine, dicke, unrasierte Agent im Park, »dem ich mein ganzes Unglück zu verdanken habe«, flüstert Layo.

In einem hellen Sommeranzug ist der Menschenhändler in den Park gekommen und hat seelenruhig zugesehen, wie die Nigerianer mit vier zu drei gegen Kap Verde gewinnen. Layo hasst ihn für diese Unschuldspose. In Nigeria würde er so einem Typ ordentlich die Meinung sagen.

Doch Layo lebt in Belgien, ohne Papiere, Verein und eigene Wohnung. Also plaudert er mit seinem Feind artig am Spielfeldrand und hofft darauf, dass der die Verträge aus der Tasche holt. CLAUS CHRISTIAN MALZAHN

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